Über die Kanäle nach Hause – Oder: Ein Segler geht fremd

von Johannes Erdmann

„Doch, ich würde schon von mir sagen, dass ich spontan bin. Ich glaube es ist spontan, von einem Tag auf den anderen ein warmes Bett gegen ein kleines Boot ohne Heizung bei Temperaturen um die 2°C einzutauschen, nur damit die verbleibende Woche der Herbstferien sinnvoll genutzt wird.“

Dieser Gedanke geht mir am Dienstag, den 8. Oktober durch den Kopf, als ich abends vor meiner dritten Schleuse mitten im tiefsten Wald Mecklenburgs liege.

Ich denke zurück an die vergangenen Tage. Eigentlich war ja nur ein kleiner Segeltörn zum Saisonende auf der Müritz geplant. Am Sonntag wollten mein Vater Manfred und ich nach Röbel fahren, am Montag segeln und am Dienstag unsere Shark 24 kranen und mit nach Hause nehmen.

Am Samstagabend, einen Tag vor der Abfahrt, kam ich jedoch auf die Idee unsere Shark dieses Jahr auf dem Wasserweg nach Hause zu bringen. Schließlich hatte ich noch eine Woche Ferien und wollte diese nutzen! Auf der Karte sah die Strecke auch ganz simpel aus: Erst nach Plau, dann die Elde runter bis zur Elbe, „Schätze zwei bis drei Tage!“, die Elbe bis Lauenburg, „Oh, da schiebt mich sogar die Strömung von hinten!“, und dann nur noch fix den Elbe-Seiten-Kanal runter bis Wolfsburg,

„Dann bin ich schon am Sonntag zuhause und kann Montag wieder zur Schule! Den Mast kann Manfred ja auf dem Trailer mitnehmen, der ist mir ab Waren eh nur im Weg…“

Meine Eltern waren zwar nicht begeistert von der Idee, trauten mir Sechzehnjährigem diese Fahrt aber zu!

Voll beladen mit mehreren Decken, warmen Klamotten, Schlafsäcken und dem Trailer am Haken erreichten wir Sonntagnachmittag Röbel. Der Hafen war zu unserem Erstaunen fast leer und die Stege wurden von den Enten regiert. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir alles an Bord gekarrt hatten und nach dem Füllen des Wassertanks war der Wasserpass verschwunden!

Am Montagmorgen ging es nach dem Proviant- und Benzinbunkern (insgesamt 45 Liter Benzin) zuerst unter Segeln über die stürmische Müritz nach Waren. Es war kaum ein Boot im Hafen und wir konnten unter segeln anlegen. Dort wurde schnell der Mast gelegt und schon ging es als Motorboot über den Kölpinsee und den Fleesensee nach Malchow. Den Wasserwanderrastplatz konnten wir im Dunkeln nur schwer ausmachen. Ich hielt minutenlang auf eine rot beleuchtete Tonne zu, bis ich bemerkte, dass das Licht nicht von einer Tonne, sondern von dem Rücklicht eines LKW’s auf der Landstraße nach Malchow stammt. Auch Sektorenfeuer scheinen im Oktober unter die Stromsparmaßnahmen zu fallen.

Heute Morgen fuhr Manfred dann ganz früh mit dem Bus nach Röbel um das Auto und den Trailer zu holen. Als ich es endlich geschafft hatte, mich bei Temperaturen um die 8°C aus der Koje zu schälen, nahm ich das Rigg auseinander, bis nur noch der kahle Mast ohne Salinge und Stage auf das Verladen wartete. Manfred kam kurz nach elf mit dem Auto zurück und half mir den Mast zu verladen.

Um halb eins hatte ich dann nachgetankt und war startklar. Los ging’s über den Plauer See nach Plau, während Manfred in Malchow auf der Suche nach Petroleum für meinen Kocher war. An der Schleuse in Plau trafen wir uns wieder. Er erkannte die Shark von weitem gar nicht, so ohne Mast und mit strahlend weißem Deck.

Ich hatte die hohen, kurzen Wellen auf dem Plauer See genutzt um angeleint die Entenschiete vom ständig überfluteten Deck zu schrubben, während mein Freund, der Autopilot, steuerte.

Die ersten zwei Schleusen, für mich die ersten zwei überhaupt, durchfuhr ich mit Leichtigkeit. Ich nahm sogar zwei Anhalter mit, die von einer Schleuse zur anderen wollten. Als Dank dafür wurde ich reichlich mit neuem Proviant von ihnen beschenkt. Die dritte Schleuse, Schleuse Bobzin, schaffte ich wegen der verkürzten Öffnungszeiten, im Oktober nur noch von 9 – 17 Uhr, nicht mehr rechtzeitig und liege nun mitten im Wald. Die zwei Häuser hier an der Schleuse scheinen nicht bewohnt zu sein. Ich bin ganz allein an der Schleuse. Nur eine Katze besucht mich nachts an Bord. Durch ihren Sprung an Deck werde ich geweckt. Sie klettert ins Cockpit und sieht mich mit großen Augen durch das Fenster im Steckschott an, bevor sie wieder im Wald verschwindet… So allein bin ich eigentlich gar nicht!

Während der Saison sind in Röbel viele Spinnen an Bord gezogen, die nun durch alle Ritzen versuchen in die Kajüte zu gelangen. Viele sind größer als 2 cm! Ich schätze ich habe die Statistik, dass jeder Mensch im Leben acht Spinnen im Schlaf verspeist, in diesen Nächten ein wenig gehoben…

Am Morgen werde ich durch Motorsägenlärm geweckt. Waldarbeiter fällen neben mir Bäume, während ich mir einen Tee koche. Letze Nacht war es wieder sehr kalt, um die 4°C. Es scheint von Nacht zu Nacht kälter zu werden.

Gegen neun Uhr macht dann endlich die Schleuse auf. Ich werde sieben Meter hinuntergeschleust. Weiter geht es, ständig unter Autopilot, durch Lübz und Parchim nach Garwitz. Der Autopilot hilft mir auf dieser Fahrt sehr. Er behält zwar auf den engen Gewässern nie länger als 30 Sekunden den richtigen Kurs bei, befreit mich aber vom lästigen Rudergehen. Mit der Fernbedienung in der Hand stehe ich ans Sprayhood gelehnt oder liege auf dem Kajütaufbau.

Die Schleuse Garwitz erreiche ich um kurz nach 16 Uhr. Um die nächste Schleuse in zehn Kilometer Entfernung noch zu erreichen, bin ich zu spät dran.
Ich entschließe mich in Garwitz zu übernachten. Eigentlich gibt es in Garwitz nichts, das zum Verweilen einlädt, abgesehen von einem großen Schild gleich nach der Schleuse, auf dem neben dem Schriftzug „Wasserwanderrastplatz Garwitz“ eine große Dusche abgebildet ist!

Den großen Yachthafen, der zu dem Schild gehört, habe ich diese Nacht für mich alleine. Der herbeitelefonierte Hafenmeister muss mich vertrösten: „Die Duschen sind schon abgestellt!“ Stattdessen wasche ich mich im Toilettenhäuschen mit Eiswasser, das bestimmt aus dem tiefsten Brunnen Mecklenburgs kommt. Nach einem langen Spaziergang durch den Ort ist mir wieder warm und ich lege mich in die Koje.

Der nächste Morgen beginnt mit einem gepflegten Ausrutscher an Deck. Über Nacht hat es gefroren und das Cockpit ist vereist. Auch der Steg ist ganz weiß und ich schliddere gegen sieben Uhr zum Toilettenhäuschen. Dort versuche ich vergeblich meinen Wasserkanister unter den Wasserhahn zu bekommen und denke mir, heute Abend wird sich schon noch was finden, wo ich Wasser bunkern kann. Um halb acht startet der Außenborder beim zweiten Zug mit weißem Qualm. Bei 2°C tuckere ich langsam auf die Elde hinaus und erreiche um 9 Uhr die erste Schleuse.

Im Laufe des Tages durchfahre ich bei schönstem Sonnenschein Neustadt-Glewe, Grabow, Eldena und erreiche um 16 Uhr meine vorletzte Schleuse bei Neu Kaliß. Obwohl ich hier nur 2 m hinuntermuss, ist diese Schleuse die Schlimmste. Es dauert ewig, bis die Automatikschleuse die Kammer gefüllt hat und mich einfahren lässt. Dabei will ich an diesem Tag unbedingt noch durch die Schleuse Dömitz kommen! Tatsächlich erreiche ich das „Tor zur Elbe“ um 16.45 Uhr. Ich lege an einem Steg an und laufe zum Schleusenwärter. Der kommt mir schon entgegen und stellt mir auf meine Frage, ob er mich noch hinunterschleust eine Gegenfrage: „Was bedeutet einmal rot?“ – „Äh, geschlossen?“ – „Schleusung wird vorbereitet! Solltest mal wieder einen Blick in die Bücher werfen!“
Da hat er wohl recht…

Am Abend liege ich beim Dömitzer-Motor-Yacht-Verein. In meiner Beschreibung ist der Hafen ausgeschrieben mit sanitären Anlagen und Tankstelle in der Stadt. In der Tat gibt es sanitäre Anlagen, wenn auch 250m entfernt in Form von einem öffentlichen Pissoir!
Der beschriebene Schwimmsteg entpuppt sich als aus alten Schwimmpontons zusammengezimmerter Anleger, an dem ich mir am nächsten Morgen beim Auslaufen einen langen Kratzer in die Bordwand ziehe. Trotz sechs Fendern!

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